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"Gegen das Vergessen!" - der 8. Mai 2023

Dr. Kummer: Die Opfer im Kampf gegen den Faschismus und der Krieg in der Ukraine – das sollte voneinander getrennt werden.

Der Thüringer Landtag hat mit seinem Beschluss 2015 zur Einführung eines   Gedenktages  aus Anlass  des  „8. Mai  als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus und Beendigung des zweiten Weltkrieges“ die Grundlage für ein würdiges Gedenken geschaffen.

 

Tag des Sieges Ruinen des Krieges 01 LUPE

Der Vorsitzende derDeutsch-Russischen Freundschaftsgesellschaft in Thüringen e.V. hat am 26.April 2023 aus diesem Anlass der Zeitung "Freies Wort" ein Interview gegeben:

Freies Wort vom 26.04.2023 Interview

„Kontakte sind wichtig für die Zeit nach dem Krieg“

Das Gespräch führte Eike Kellermann
25.04.2023 - 19:40 Uhr
Auch wenn Thüringen von den Amerikanern befreit wurde: Denkmäler wie das in Suhl gedenken der Befreiung von den Nazis ausschließlich mit Blick auf Moskau. CDU-Mann Martin Kummer meint: Auch an diesem 8. Mai sollte man die sowjetischen Opfer ehren.
Geht heute noch Freundschaft mit Russland?
Die Deutsch-Russische Freundschaftsgesellschaft in Thüringen versucht es zumindest. Im Interview berichtet der Vorsitzende Martin Kummer über das russische Innenleben nach dem Überfall auf die Ukraine. Illusionen macht sich Martin Kummer keine. „Russland agiert brutal“, sagt der Vorsitzende der Deutsch-Russischen Freundschaftsgesellschaft in Thüringen. Trotz des Kriegs in der Ukraine hält der einstige Suhler Oberbürgermeister weiter Kontakte, zum Beispiel zum russischen Botschafter in Berlin. Kummer nimmt auch Unbehagen am Agieren Putins wahr, ebenso den Wunsch nach einen gesichtswahrenden Ausstieg aus dem Konflikt. Sein Appell an die deutsche Außenpolitik: Nicht durch aggressive Äußerungen weiter Öl ins Feuer gießen und auch die Ukraine zu Friedensverhandlungen drängen. Wichtig findet der CDU-Politiker Kummer, am 8. Mai die Leistungen und die Opfer der Sowjetunion im Kampf gegen den Faschismus zu würdigen.
Herr Kummer, mehr als ein Jahr ist seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vergangen. Kann Ihre Freundschaftsgesellschaft noch Kontakte nach Russland pflegen?
Persönliche Kontakte sind fast unmöglich. Über Telefon, Mail und Whatsapp versuchen wir aber weiter, Kontakt zu halten. Am 12. April wurde in Russland der Tag der Kosmonauten begangen. Solche Feiertage nehmen wir zum Anlass, uns bei unseren langjährigen Gesprächspartner zu melden und zu fragen, wie es ihnen geht. Nachdem sie vor einem halben Jahr noch ziemlich reserviert reagierten, ist nun wieder eine gewisse Offenheit zu spüren. Deutschland gilt ja in Russland mittlerweile als „unfreundliches Land“. Wie hat sich nach Ihrer Wahrnehmung das Leben in Russland verändert? Jedenfalls nicht so, wie sich das die westlichen Staaten erhofft haben. Die meisten Leute stehen hinter ihrem Land und sind der Ansicht oder haben sie aus der Propaganda übernommen, dass der Westen ihnen nichts Gutes will. Demonstrationen oder gar ein Umsturz – mit so etwas ist nicht zu rechnen. Man spürt aber auch die Einschüchterung bei vielen. Eine Studentin schrieb mir, sie möchte einfach nur ihr Studium fortsetzen. Niemand weiß, wer hört oder liest bei der Kommunikation mit.
Was hören Sie aus Kaluga, der Partnerstadt von Suhl?
Die Stadt ist voll auf Linie, das war auch nicht anders zu erwarten. Allerdings haben wir auf unsere Grüße zum Tag der Kosmonauten Antworten selbst aus der Stadt- und Regionalverwaltung bekommen. Der Krieg ist natürlich in aller Munde, es gibt in der Bevölkerung gefallene Soldaten. Aber ich höre immer wieder von einfachen Leuten: „Wir müssen uns gegen die Ukraine wehren.“
Planen Sie, demnächst wieder nach Russland und nach Kaluga zu reisen?
Ich könnte hinfliegen, wenn ich das wollte, über Istanbul oder Belgrad. Mein Visum ist fünf Jahre gültig. Aber das kommt für mich im Moment nicht in Frage. Das deutsche Außenministerium warnt ja ausdrücklich vor nicht notwendigen Reisen nach Russland. Was aber die Kontakte zu Partnerstädten betrifft, eben zum Beispiel von Suhl zu Kaluga, kann ich nur empfehlen, dran zu bleiben. Diese Kontakte sind wichtig – für die Zeit nach dem Krieg. Volkswagen hat ein großes Werk in Kaluga.
Wissen Sie etwas darüber, was aus der Fabrik und ihren Mitarbeitern geworden ist?
Das Werk wurde nach Kriegsbeginn geschlossen. So weit ich weiß, wurden die Mitarbeiter noch einige Monate bezahlt über eine Art Kurzarbeitergeld. Nun, so hört man, soll das 2006 eröffnete Werk in den Verbund der russischen Autounternehmen eingegliedert werden. Ich selbst habe es zwei Mal besucht. Es entsprach modernsten westlichen Standards und war international aufgestellt. Der Arbeitsdirektor war erst ein Slowake, der als Jungpionier übrigens mal in Suhl war, ihm folgte ein Mexikaner, der sich wegen der Kälte jedoch nicht so wohl fühlte. Russische Manager wurden in Wolfsburg weitergebildet. Es gab Gewerkschaften, die 3000 Mitarbeiter wurden ordentlich bezahlt. Das Werk, dem auch Putin einen Besuch abstattete, war ein sehr gutes Beispiel für die deutschrussische Zusammenarbeit. Schade, was nun passiert ist.
Für Sie als den Vorsitzenden einer deutsch-russischen Freundschaftsgesellschaft dürfte es nichts Ungewöhnliches sein, auch den russischen Botschafter in Deutschland zu treffen. Sind angesichts des Kriegs noch ernsthafte Gespräche möglich?
Ich bin überzeugt, dass man die Gesprächskanäle weiter nutzen sollte. Deshalb treffe ich den Botschafter auch wieder im Mai. Derzeit sind ja sämtliche Kontakte, ob in der Wirtschaft oder der Kultur, auf Null heruntergefahren. Aber nur, wenn wir mit den russischen Partnern sprechen, können wir ihnen sagen, was wir für falsch halten. Alles dreht sich doch um das eine: Was kann man tun, damit das Gemetzel in der Ukraine ein Ende hat?
Was sagen Ihnen die Russen über ihre Ziele im Ukraine-Krieg?
Lassen sie mich ein Zitat des SPD-Politikers Egon Bahr vorausschicken, das für mich eine Art Leitmotiv ist. Bahr sagte, die USA seien für uns unverzichtbar. Russland aber sei für uns unverrückbar. Das heißt: Was auch immer geschieht, das für uns eigentlich nicht fassbare, riesengroße Land mit seinen elf Zeitzonen wird weiterhin unser Nachbar sein, ob wir das wollen oder nicht. Deshalb müssen wir jetzt schon – im harten Diskurs – die Zukunft vorbereiten. Das Ziel der Russen in diesem Krieg ist die Eroberung der Ukraine. Sie sagen: „Es geht um unser Land.“ Der Zerfall der Sowjetunion ist für sie ein Trauma. In den 1990er Jahren wurden aus ihrer Sicht unter Gorbatschow und Jelzin elementare Fehler gemacht, die nun mit Gewalt rückgängig gemacht werden sollen. Sie wollen, dass die Entscheidung auf dem Schlachtfeld fällt. Der Führung ist es egal, wie viele Soldaten noch sterben. Und die Bevölkerung ist leidensfähig. Wenn die Russen Kiew einnehmen können, werden sie das tun. Auch, um – aus ihrer Sicht – ein Vorrücken der Nato zu verhindern.
Was hören Sie von Ihren russischen Gesprächspartnern über deren Erwartungen an den Westen?
Die Führung um Putin scheint zu allem entschlossen zu sein. Nach meiner Wahrnehmung gibt es aber auch Leute, die nicht überzeugt sind, dass der Krieg richtig ist. Sie haben großes Interesses an einem fairen und gesichtswahrenden Ausstieg aus dem Konflikt. Das sollten die westlichen Staaten dadurch unterstützen, nicht selbst weiter Öl ins Feuer zu gießen. Aussagen wie die von Außenministerin Annalena Baerbock, Russland dürfe auf Jahre hinaus wirtschaftlich nicht mehr auf die Beine kommen, werden in Russland nur groß aufgebauscht und bringen gar nichts. Frau Baerbock hat alle Möglichkeiten und Fähigkeiten, das diplomatische Verhandlungsformat vorzubereiten und zum Erfolg zu führen. Die Unterstützung der Zivilgesellschaft ist ihr sicher. Russland agiert brutal, das stimmt. Aber wir müssen uns trotzdem anhören, was sie für ein Problem mit der Nato-Erweiterung haben und dass die Krim für sie eine besondere Bedeutung hat. Es geht um eine gerechte Lösung für die Ukraine unter Beachtung der russischen Interessen. In einem allerdings wird es kein Zugeständnis geben können: Ein dauerhafter Frieden ist nur möglich, wenn Russland die besetzten Gebiete wieder räumt. Die Ost-Ukraine und die Krim könnten allerdings unter internationalen Schutz gestellt werden. Dort sollte Russisch als gleichberechtigte Amtssprache erlaubt werden, und nach einiger Zeit könnte die Bevölkerung bei freien und fairen Referenden dann selbst über seine Zukunft entscheiden.
Die westlichen Staaten sind sich weitgehend einig, dass die Ukraine jede denkbare Hilfe bekommen muss, weil nur so Putin an den Verhandlungstisch gebracht wird. Teilen Sie das?
Ohne die westliche Hilfe würde die Ukraine als Staat nicht mehr existieren. Ohne diese Hilfe hätten die Russen sie überrannt. Deshalb ist die Hilfe richtig. Aber wie lange soll das andauern? Und wie viele Menschenleben soll der Krieg noch kosten? In welcher Weise sehen Sie auch die Ukraine in der Pflicht, für ein Ende des Krieges zu sorgen? Ich finde, die Unterstützung des Westens sollte nun mit Forderungen flankiert werden. So sollte von der ukrainischen Führung verlangt werden, ihre Bereitschaft zu Verhandlungen zu erklären. Ja, da dürfen wir auch ein klein bisschen Nachhilfeunterricht geben, das hat nichts mit Bevormundung zu tun. Wir dürfen bei aller Sympathie nicht vergessen, dass die Ukraine im Korruptionsindex nah bei Russland liegt. Es ist doch verwunderlich, wenn aus dem Westen gelieferte Waffen in Afrika auftauchen. Und mit der Opposition in Kiew muss die Bundesregierung – so wie in anderen Ländern – auch in Kontakt bleiben, was sie derzeit nicht tut.
Bei Protesten – auch in Südthüringen – werden Russland-Fahnen geschwenkt. Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer kritisieren deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine. Ist das berechtigte Kritik an der deutschen Außenpolitik oder Moskaus fünfte Kolonne? Was mich wirklich stört, ist, wenn diese Menschen als „Friedensschwurbler“ bezeichnet werden. Das ist so was von niederträchtig. Das sind Leute, die sich Gedanken gemacht haben, die ihren Überzeugungen folgen. Mein Eindruck ist leider, dass die Grenzen des Sagbaren immer enger werden. Doch das bedeutet für eine Gesellschaft den sozialen Suizid. Denn auch eine Minderheit kann recht haben und eine Mehrheit kann irren.
Der 8. Mai steht bevor, der Tag der Befreiung Deutschlands von den Nazis durch die Sowjetunion und ihre westlichen Alliierten. Wie soll man in Zeiten des Ukraine-Kriegs damit umgehen?
Die Russen beobachten genau, was Deutschland an diesem Tag macht. Gibt es keine ehrende Erinnerung, wird es im russischen Fernsehen heißen: Seht her, den Deutschen sind die 27 Millionen Toten in der Sowjetunion durch den Faschismus egal. In Thüringen ist der 8. Mai seit 2015 ein Gedenktag. Deshalb werden wir als deutsch-russische Freundschaftsgesellschaft in würdiger und angemessener Weise gedenken. Es wäre gut, wenn auch Bundestag und Landtage das täten. Man sollte den russischen Botschafter einladen und ihm so deutlich machen, dass wir die Leistung der Sowjetunion und ihre Opfer nicht vergessen haben – und zugleich den Überfall auf die Ukraine nicht akzeptieren. Ich höre aber aus Thüringer Städten, dass an diesem Tag sowjetische Soldatendenkmale verhüllt werden sollen. Davon rate ich dringend ab. 
 

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