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Vor 80 Jahren begann der Große Vaterländische Krieg

Was mich am Vorabend des Jahrestages des Überfalls Nazideutschlands auf die Sowjetunion bewegt

 

Es erfüllt mich mit Genugtuung, dass die Thüringer Erklärung vom März 2021 eine positive Reaktion ausgelöst hat.

Ich stimme mit alljenen vollständig überein, dass es gerade in dieser angespannten und für die Mitglieder unserer Gesellschaft nicht zufrieden stellenden Phase der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und in unserem Falle Deutschlands zur Russischen Föderation unbedingt notwendig ist, sich auf die wichtigsten Fragen der Gegenwart, nämlich nicht der Konfrontation und Kriegsvorbereitung, sondern  der Friedenserhaltung und - sicherung zu konzentrieren. 

Was hat es mit den Menschen gemacht die diesen Krieg er- und überlebt hatten? Der Krieg war für viele Jahre in ihren Köpfen, in ihrem Inneren, und ist noch immer  dort. Er hat hundertausenden nicht nur die Kindheit geraubt,  hat ihre Seelen für immer verformt,  Angst, Unsicherheit und Misstrauen gegenüber Menschen eingeimpft. Das liess und lässt sich auch nach den folgenden Generationen nicht einfach und nicht schnell heilen.

Wie war es bei den deutschen Kriegsheimkehrern? Da galt es als ein absolutes Tabu, Schuldeingeständnisse zu machen. Man gab nicht zu, selbst Zivilisten getötet, russische Dörfer angezündet und verbrannte Erde hinterlassen zu haben. Die Kriegsgeneration, die Schweigen und Verdrängen als Überlebensstrategien gewählt und durchgesetzt hat, wird schwächer oder ist bereits verstorben. Und die weniger schuldverstrickten Nachkriegsgenerationen haben heute genug Abstand und allen Grund zurückzuschauen, ihr eigenes Leben zu reflektieren und nie gestellte Fragen endlich zu stellen. Weil aber so umfassend, so penetrant und so gnadenlos geschwiegen wurde, muss sich jeder, der sich heute mit seinem Leben und seiner Familie auseinandersetzt, zuerst einmal oder zumindest auch dem Schweigen in seiner Familie stellen. 

Dazu gehört auch, dass man heute die geschichtlichen Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts nicht nach Beliebigkeit interpretieren darf, sondern klar und deutlich auf jene historischen und politischen Ursachen eingehen sollte, die die Grundlage für die aggressive Politik gegenüber der Sowjetunion bildeten. Die Ursachen bestanden bereits seit der Oktoberrevolution, des Bürgerkriegs und der Existenz der Sowjetunion als alternativer Gesellschaftsordnung zum imperialen kapitalistischen System.

Natürlich haben die westlichen Großmächte , wie die USA, Großbritannien Frankreich, aber auch Japan und eine Vielzahl anderer Staaten Europas durch Schweigen und Hinterhofdiplomatie Hitlerdeutschland den Rücken gestärkt, ja sie ermutigt letztendlich das „Jüdisch-bolschewistische Untermenschentum" auszurotten. Der Überfall auf die Sowjetunion begann ausgelöst durch jene dehumanisierenden Feindbilder der zwanziger und dreissiger Jahre des 20.Jahrhunderts. Bekanntermaßen fanden und finden sie im Kalten Krieg und heute ihre Fortsetzung und rauschen in veränderter Form bewusst oder unbewusst als vermeintliche „Menschenrechtsvergehen" heute noch durch den Blätterwald.

Immer wieder wird heute behauptet, der Hitler-Stalin-Pakt sei der Grund für den Zweiten Weltkrieg gewesen und Stalin der Provokateur dieses Weltkrieges; er habe Hitler nicht nur geholfen, den Krieg zu entfesseln, sondern diesen im eigenen Interesse selbst herbeigeführt.
Zur Anprangerung der sowjetischen Außenpolitik werden heute in der Regel moralische Wertungen verwendet, ohne Berücksichtigung der konkreten historischen Realitäten und der Mentalität der Epoche.

Die damaligen Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion gründeten sich nicht auf der Gemeinsamkeit grundlegender dauerhafter Interessen und nicht auf gegenseitiger politischer Sympathie ihrer Führer, der Diktatoren; die Vereinbarungen verwandelten Deutschland und die Sowjetunion weder formell noch faktisch in Verbündete; jede Seite verfolgte eigene Ziele, war bemüht, die erreichte Übereinkunft für ihre Interessen, nicht zuletzt gegen den Partner zu nutzen. Freundschaftsbekundungen von beiden Seiten sind als politische Taktik und Manöver zu werten. Es gab keine persönlichen freundschaftlichen Beziehungen auf den verschiedenen Ebenen, sondern Abschottung.

Der Nichtangriffsvertrag entsprach den völkerrechtlichen Festlegungen dieser Zeit. Er verpflichtete zu Neutralität und Nichtangriff im Kriegsfalle und nicht zum Krieg. Er war kein Militärbündnis mit entsprechenden Festlegungen. Er kam in der Abschlussphase der Vorkriegskrise zustande, war deren Folge und nicht die Ursache dieser Krise. Nimmt man als Ausgangspunkt das berüchtigte Münchener Abkommen von September 1938 so bewerten die meisten russischen Historiker von heute, wie auch ihre sowjetischen Vorgänger (oft sind sie identisch), dieses Abkommen als Verschwörung der regierenden Kreise Englands und Frankreichs mit Hitlerdeutschland und zugleich als Kapitulation vor Hitler, als anschauliche Manifestation der Politik des Appeasements, die das von der Sowjetunion befürwortete kollektive Sicherheitssystem zerstörte und im Ergebnis zum Krieg führte.

Die Führer der westlichen Demokratien versuchten in und nach München mit unglaublicher Hartnäckigkeit Deutschland gegen die Sowjetunion aufzuhetzen. In den Auseinandersetzungen zum Nichtangriffsvertrag und besonders um das Geheime Zusatzprotokoll werden immer wieder Fragen aufgeworfen und zumeist konfrontativ Antworten gegeben.

Die Unterzeichnung des Nichtangriffsvertrages mit dem Geheimen Zusatzabkommen und den Einmarsch sowjetischer Truppen in Ostpolen am 17. September 1939 betrachten sie als Aggression, als praktische Kriegsteilnahme der UdSSR an der Seite Deutschlands gegen Polen, als Eintritt der Sowjetunion in den Zweiten Weltkrieg.

Strikt zurückgewiesen werden die genannten Anschuldigungen, Stalin, die Sowjetunion, sei mit dem Nichtangriffsvertrag mitschuldig am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges geworden, Stalin habe Hitler die gewünschte Rückendeckung, grünes Licht, für den Überfall auf Polen gegeben, sei zum Mittäter bei dessen Zerstörung und neuerlichen, vierten Teilung geworden. Das Komplott der Diktatoren habe zur Aufteilung Osteuropas geführt. Doch Was immer Stalins wirkliche Absichten waren, es war Hitler, der die Initiative für den Abschluss eines deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts ergriff.

Der Einmarsch von Truppen der Roten Armee in die östlichen Gebiete Polens am 17. September 1939, von einer Verbrüderung mit der Wehrmacht und gemeinsamen Paraden kann nicht die Rede sein, entzog diese Gebiete und seine Bevölkerung überwiegend Ukrainer, Belorussen und Juden, etwa 13 Millionen der deutschen Einfluss-Sphäre und führte sie in den Bestand der Sowjetunion zurück, wozu diese sich auch moralisch verpflichtet fühlte. Der hinausgezögerte Einmarsch nach Polen war demnach kein Kriegsgrund für Großbritannien und Frankreich, die Bündnispartner Polens, und kein Akt des Krieges für die USA.

Es ist nicht zu leugnen, dass in einigen historischen Abhandlungen, die in Russland erschienen, versucht wird, den Pakt und das Geheime Zusatzprotokoll sowie die nachfolgenden Ereignisse aus geopolitischer Sicht sowie als Verteidigung der nationalen und der Sicherheitsinteressen der Sowjetunion, in Anbetracht der wachsenden Gefahr eines Krieges zwischen Deutschland und der Sowjetunion zu werten. Oft nehmen diese einen martialischen und mystischen Charakter an.

Ein Teil der russischen Historiker trägt den erwähnten Umständen zwar Rechnung, weist jedoch auf den rechtswidrigen und unmoralischen Charakter des Geheimen Zusatzprotokolls zum Molotow-Ribbentrop-Pakt hin. Doch für die meisten russischen Historiker, aber auch für ausländische, bestehe kein Zweifel darüber, dass das nazistische Deutschland den Weltkrieg entfesselt habe. In den letzten Jahren wurde sichtbar, dass sich in mehreren europäischen Ländern viele Missdeutungen der Geschichte im Zeichen eines um geschichtliche Tatsachen unbekümmerten, verbissenen reanimierten Antikommunismus vollziehen. Seine Verfechter schreiben der Sowjetunion einen erheblichen Teil der Schuld am Zweiten Weltkrieg zu, sie teilen diese gleichsam zwischen Hitler und Stalin. Diese Fälscherarbeit blüht momentan in Staaten des Baltikums, in der Ukraine und in Ungarn. Ich setze Polen hinzu, und auch die Bundesrepublik ist nicht frei davon.

 

Es beunruhigt mich zutiefst, dass jüngst das Europaparlament sowohl Hitlerdeutschland als auch die Sowjetunion für die Auslösung des II. Weltkrieges verantwortlich machte. ich frage mich besorgt, soll damit die Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen an den Völkern der Sowjetunion, eingeschlossen des russische Volks relativiert werden?
Es gab schon einmal einen so genannten „Historikerstreit".

 

Nimmt man den Gedentagekalender des deutschen Bundestages zur Hand, so erfährt der Leser dass zwar eine Sitzungswoche geplant sei, jedoch mit  keinem Sterbenswort über den 22. Juni 1941 und seinem Gedenken nach nunmehr 80 Jahren.

 

Er findet einfach nicht statt. Also ist es doch politisch so gewollt.

 

Andererseits redet man verstärkt vom Russland Feldzug und neue Fernsehveröffentlichungen machen die Runde, in denen fast ausschliesslich von Gewalt, Vergewaltigung deutscher Frauen und Mädchen, Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den „Ostgebieten" die Rede ist. Die 27 Millionen Menschenopfer, die Milliarden von materiellen Werte nach der Taktik der verbrannten Erde, die Nazideutschland zu verantworten hat, werden kaum bewertet und geflissentlich unter den Tisch gekehrt.

Leider hat sich bei manchen älteren aber auch jüngeren Mitbürgern ein ernst zunehmendes Unverständnis der geschichtlichen Ereignisse breit gemacht. Russophobie, Antisemitismus und offene Feindseligkeit gegen Menschen unterschiedlicher Religion und Hautfarbe fallen auf fruchtbaren Boden. Wo sind in diesem Falle die deutschen Eliten und auf welcher Seite stehen sie?

Auch aus diesem Grunde unterstütze ich alle Forderungen nach umfassender ziviler Courage, um die Welt friedlicher zu machen. Wir setzen auf Kooperation und nicht auf Konfrontation in den internationalen Beziehungen. Militärisches Säbelrasseln bringt uns bei der Lösung der Menschheitsfragen nicht weiter, wir als Zivilgesellschaft müssen das tun!

Wenn unser Aufruf nicht ungehört verhallt, dann sind wir diesem Ziel als Zivilgesellschaft einen bedeutsamen Schritt näher gekommen.

 

Günter R. Guttsche

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