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WIEDERANNÄHERUNG AN RUSSLAND

 

Wir veröffentlichen ungekürzt einen Beitrag von Platzeck Matthias Platzeck, Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums zu den Möglichkeiten der zukünftigen deutsch-russischen Bezieungen.

Veröffentlicht am 3. März 2016

"Das Klima zwischen Deutschland und Russland ist deutlich rauer geworden und das gegenseitige Misstrauen gewachsen. Eine Verständigung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Ein Blick in die Medien beider Länder offenbart das Ausmaß des Zerwürfnisses: Ein vorwurfsvoller, bisweilen feindseliger Ton durchzieht fast alle Berichte, die sich mit dem jeweils anderen Land befassen. Für eine gedeihliche Zukunft auf dem europäischen Kontinent ist die nachbarliche Konfrontation kontraproduktiv. Eine Wiederannäherung an Russland kommt den politischen und wirtschaftlichen Interessen beider Seiten entgegen. Wir müssen die nächsten Wochen und Monate nutzen, um den Graben, der sich zwischen Russland und Europa und besonders auch zwischen Russland und Deutschland aufgetan hat, wieder zu schließen. Was können wir tun?

 

Dialog mit Russland intensivieren

 

Wir müssen jetzt alle Kanäle nutzen, um miteinander im Gespräch zu bleiben. Die Distanzierung und die Sprachlosigkeit, die wir gegenwärtig erleben, verstärken bestehende Vorurteile und Ängste, Missverständnisse entstehen. Die Verständigungsprobleme nehmen zu und führen zu Vorwürfen und Anschuldigungen. Vieles ist irrational. Wir haben das zuletzt im „Fall Lisa“ gespürt. Im ständigen direkten Kontakt können wir das verlorengegangene Vertrauen wiederaufbauen und den Weg für einen Neustart bereiten. Das gilt in gleichem Maße für Deutschland wie für Europa. Russland muss auch bei europäischen Diskussionen häufiger mit am Tisch sitzen. Das wird mehr Stabilität und Sicherheit auf unserem Kontinent bringen.

 

Sanktionen aufheben

 

Sanktionen sind nie ein wirksames Mittel der Politik. Im Falle Russlands haben sie sicher einen Effekt, jedoch nicht den erhofften, dass nämlich die russische Politik gegenüber dem Westen wieder konzilianter wird. Im Gegenteil: Russland zieht sich immer mehr zurück, wird nationalistischer und feindlicher. Das liegt nicht in unserem Interesse. Eine wirtschaftliche oder politische Destabilisierung Russlands kann in Europa niemand wollen. Zerfallsprozesse auf dem Territorium der zweitgrößten Atommacht der Erde, in einem Land, das sich über 10 Zeitzonen erstreckt und 80 Völkerschaften vereint, sind ein Szenario, dass man sich nicht einmal vorstellen möchte.

 

Wirtschaftliche Zusammenarbeit verstärken

 

Die deutsche Wirtschaft muss aufgrund der Sanktionen, aber auch der allgemein schwachen Wirtschaftsentwicklung in Russland Einbußen hinnehmen. Trotzdem bleiben die Unternehmen dem Markt treu, weil sie Vertrauen in die russische Wirtschaftskraft haben und um die Bedeutung der Partnerschaft wissen. Das Potenzial der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen ist immens. Sie sind ein wichtiger Faktor für eine Zukunft mit Wohlstand auf dem europäischen Kontinent. Intensivere Wirtschaftskontakte bedeuten für Deutschland und Europa auch zusätzliche Stabilität und zusätzliches Vertrauen im außenpolitischen Beziehungsgeflecht mit Russland. Für Russland können sie eine positive Dynamik der innergesellschaftlichen Entwicklung des Landes auslösen, können helfen Ressentiments gegenüber Europa abzubauen und mehr Offenheit und weniger Nationalismus mit sich bringen.

 

Krisen zusammen mit Russland angehen

 

Die Flüchtlingskrise, die uns in Europa derzeit in Atem hält, ist nur der Beginn großer Veränderungen. In Afrika deutet sich ein Zerfall von Staaten an, der zusätzlich zu den 60 Millionen Menschen, die heute auf der Flucht sind, weitere Völkerwanderungen hervorrufen wird. Willy Brandt hat einmal gesagt, dass der Ost-West-Konflikt nichts gegen den Nord-Süd-Konflikt sei. Das ist aktueller denn je. Vor uns liegen weltumspannende Herausforderungen. Wir müssen diese zusammen mit Russland angehen. Ohne oder gar gegen Russland ist keines der globalen Probleme zu lösen. Die Syrien-Krise führt uns das vor Augen. Der Westen muss akzeptieren, dass Russland selbstverständlich ein Wort in der Region mitzureden hat und die russische Politik auf Augenhöhe in die internationale Krisenkommunikation einbinden. Syrien kann zum Testfall dafür werden, wie man Probleme der Welt mit Russland gemeinsam angeht und löst.

 

Im Umgang mit Russland umdenken

 

Für den Westen war nach dem Ende der Sowjetunion endgültig zur Gewissheit geworden, dass er über die besseren Werte und das überlegene System verfugt. Es stand außer Frage, dass Russland sich anzupassen und das westliche Modell von Rechtsstaat, Demokratie und Wirtschaft zu übernehmen hatte. Dass Russland völlig andere Voraussetzungen als die westlichen Länder mit sich brachte, spielte keine Rolle, etwa dass Russland keine Demokratiegeschichte hat oder dass im größten Flächenland der Erde andere Mentalitäten und Traditionen prägend waren. Heute müssen wir einsehen, dass aufgrund dieser Voraussetzungen für Russland auch andere Entwicklungswege in Betracht kommen. Wir werden umdenken und lernen müssen, diese Wege zu respektieren, auch wenn sie nicht immer mit unseren Idealen übereinstimmen. Nur aus der Achtung auch gegenüber anderen Entwürfen heraus kann sich ein Miteinander mit Russland auf Augenhöhe entwickeln und in der Folge ein konstruktiver partnerschaftlicher Dialog.

 

Die Beziehungen zu Russland sind über Jahrhunderte gewachsen — Krisen, leider auch Kriege,

 

gehörten stets dazu. Am Ende aber sind wir gestärkt aus solchen Krisen hervorgegangen. Ich meine, dass wir das auch dieses Mal erreichen können und dass wir alle Anstrengungen dafür unternehmen sollten — denn die Partnerschaft mit Russland nützt uns allen in Deutschland und in Europa".

 

Matthias Platzeck

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